Pornographie-Sucht: Flucht aus dem Realitätsfrust
Wer hätte das gedacht: Studien (etwa der Techniker Krankenkasse) belegen, dass junge Menschen immer weniger Sex haben. Als Ausweg bietet sich die Flucht in eine virtuelle Welt. Und diese kann Folgen haben. Denn der laut Bundeskriminalamt seit Jahren angestiegene Konsum von Pornographie durch immer jüngere Menschen (und diese sind den Studienergebnissen zufolge überwiegend männlich) zeitigt laut Studienergebnissen erhebliche Konsequenzen für die Nutzer.
Sexueller Missbrauch und Gewalt als Folgen von erhöhtem Pornographie-Konsum
Heavy User, also junge Männer, die mehrere Stunden täglich pornographische Inhalte konsumieren, begehen demnach dreimal häufiger selbst sexuellen Missbrauch als sog. Gelegenheitskonsumenten. Aber nicht nur das, fast jeder zweite männliche Jugendliche oder junge Erwachsene zwischen 16-21 Jahren nimmt an, dass Mädchen und junge Frauen sexuelle Gewalt mögen bzw. sogar von ihrem Partner erwarten. Deutlich wird, dass durch die realitätsfernen Angebote ein völlig verzerrtes Bild von Sexualität vermittelt wird. Demnach haben die meisten Frauen riesige Brüste, sind promiskuitiv und lieben es, auch mal gedemütigt und geschlagen zu werden, während Männer immer und immer wieder „können“ und über exorbitant große Geschlechtsteile verfügen. Emotionale Beziehungen als Grundlage von sexuellen Handlungen haben zudem in den Filmen mehr oder weniger keine Bedeutung.
Superreize schädigen das Selbstbild
In meiner Praxis erlebe ich immer wieder, dass junge Männer mich aufsuchen, weil sie sich – gemessen an den oben beschriebenen pornographischen Darbietungen – als unnormal und unzureichend erleben. Dass Sex in der Realität ganz anders abläuft als in den Medien (etwa, dass Partnerinnen sich möglicherweise ein Vorspiel wünschen), führt zu massiver Unsicherheit im Umgang mit Frauen. Häufig sind die Betroffenen ratlos, haben gar keine Idee von dem Konstrukt Beziehung, das emotionale Bezogenheit und Verbindlichkeit mit Sexualität vereint. Es erfordert daher Mut, sich zu öffnen und sich in seiner Normalität zu zeigen, in der die Betroffenen häufig nicht so anatomisch ausgestattet oder performant sind wie die der Darsteller im Film. Zudem geht häufiger Pornographie-Konsum mit Selbstbefriedigung einher, die durch Superreize (also sehr starke Reize) wie die oben beschriebenen Inhalte bestimmt wird. Dabei entsteht dauerhaft eine viel stärkere Friktion, also Reibung bzw. Druck als beispielsweise beim Geschlechtsverkehr oder als Frau sich trauen würde, auf das Glied ihres Partners bei der Befriedigung auszuüben.
Echter Sex kann nicht mehr als befriedigend erlebt werden
Die Folge, beim analogen Sex ist es sowohl durch die gelernten Bilder im Kopf als auch durch die geringere mechanische Einwirkung wesentlich schwieriger, Lust und Befriedigung zu empfinden. Das führt wiederum zu Unsicherheit, zur Schädigung des Selbstwertes und zum Rückzug aus realen Begegnungen. Der Konsum von Pornographie wird zur Sucht und zum Teufelskreis, der permanente Wiederholung verlangt und doch keinen Ausweg bietet.
Die Lösung ist wie bei jeder Sucht der radikale Ausstieg und die Konfrontation mit der Realität, die ganz anders ist als die Bilder im Kopf. Wenn es gelingt, sich von den artifiziellen Superreizen der Pornographie zu verabschieden, stellt „normaler Sex“ keinen Verlust mehr da. Vielmehr bietet diese neue Entwicklungsmöglichkeiten. Sich selbst anzunehmen und mit anderen Menschen in Beziehung treten zu können ist der Gewinn – und das sind zentrale Faktoren für ein erfülltes Leben.